Pflegekind trifft Pubertät – Wenn alles ins Wanken gerät

Ein Pflegekind im Teenageralter steht nachdenklich in einem warm beleuchteten Wohnzimmer, während Pflegeeltern ruhig und aufmerksam auf dem Sofa sitzen.

Die Pubertät ist eine Zeit der Veränderung – emotional, körperlich und psychisch. Für Pflegekinder wird diese ohnehin herausfordernde Lebensphase oft besonders komplex. Denn sie müssen nicht nur mit hormonellen Umbrüchen, Identitätssuche und Ablösung kämpfen, sondern tragen zusätzlich Erfahrungen aus ihrer Herkunftsfamilie, Bindungsabbrüche oder traumatische Erlebnisse in sich.

In diesem Artikel beleuchten wir, warum die Pubertät für Pflegekinder besonders sensibel ist, welche typischen Konflikte entstehen – und wie Pflegeeltern unterstützend, zugewandt und stabilisierend begleiten können.

Warum die Pubertät Pflegekinder besonders fordert

Pubertät bedeutet Wandel. Körper, Gefühle und Beziehungen verändern sich. Jugendliche suchen nach Orientierung, Abgrenzung und Selbstbestimmung. Für Pflegekinder kommt erschwerend hinzu, dass ihre Lebensgeschichte meist von Unsicherheit, Verlust oder Vernachlässigung geprägt ist. Sie tragen oft ein schwaches Selbstbild in sich, kämpfen mit Loyalitätskonflikten oder verdrängten Erfahrungen.

Was in anderen Familien als typische Pubertätsphase erlebt wird, kann bei Pflegekindern wie eine emotionale Krise wirken. Sie erleben widersprüchliche Gefühle – gegenüber sich selbst, gegenüber der Pflegefamilie und der Herkunftsfamilie. Viele stellen sich nun intensiver Fragen nach ihrer Identität, ihrer Geschichte und ihrer Zugehörigkeit.

Diese Phase kann alte Wunden aufreißen. Selbstverletzendes Verhalten, schulische Probleme, plötzlicher Rückzug oder aggressive Ausbrüche können Anzeichen innerer Konflikte sein. Für Pflegeeltern ist es wichtig zu verstehen: Das ist nicht gegen sie gerichtet – es ist Ausdruck tiefer innerer Bewegung.

Ein weiterer Aspekt ist, dass Pflegekinder häufig mit Entwicklungsverzögerungen in die Pubertät eintreten. Emotionale Reife, soziale Kompetenzen und kognitive Fähigkeiten entsprechen nicht immer dem biologischen Alter. Das kann dazu führen, dass Pflegeeltern in dieser Phase mehr Begleitung leisten müssen als bei anderen Jugendlichen. Gerade in Übergangszeiten – vom Schulwechsel über erste Beziehungen bis hin zu beruflichen Orientierungen – benötigen Pflegekinder oft zusätzliche Unterstützung, da sie viele dieser Meilensteine nicht mit der gleichen inneren Stabilität bewältigen können.

Pflegeeltern erleben in dieser Zeit manchmal auch einen Rollenwechsel: Vom bisher vertrauten Ansprechpartner zum Gegner in den Augen des Jugendlichen. Das kann sehr verunsichern. Doch gerade dann ist es wichtig, sich als verlässlicher Anker zu positionieren – ruhig, zugewandt, aber klar in den eigenen Grenzen. Die Pubertät ist keine Zeit, in der Erziehung aufhört. Sie wandelt sich – hin zu Beziehung auf Augenhöhe.

Nicht zuletzt spielen hormonelle Veränderungen eine massive Rolle. Pflegekinder, deren Neurobiologie durch frühkindliche Belastungen geprägt wurde, reagieren auf diese Umstellungen oft empfindlicher. Schlafstörungen, Reizbarkeit oder depressive Phasen sind keine Seltenheit. Ein guter Umgang mit diesen Symptomen erfordert Wissen, Geduld und – wenn nötig – die Zusammenarbeit mit medizinischen oder psychologischen Fachkräften. Auch körperliche Symptome wie Essstörungen, psychosomatische Beschwerden oder starker Leistungsabfall können Hinweise darauf sein, dass das System Pflegefamilie in dieser Phase zusätzliche Unterstützung braucht.

Gerade deshalb ist es wichtig, sich in der Pubertät nicht nur auf Herausforderungen zu fokussieren, sondern auch die Chancen zu sehen: Wenn Pflegeeltern es schaffen, ihrem Jugendlichen durch diese Zeit mit Klarheit, Zugewandtheit und Gelassenheit zu begegnen, kann das Vertrauen nachhaltig gestärkt werden. Auch wenn es manchmal nicht so scheint – Jugendliche erinnern sich an diese Stabilität. Sie brauchen Erwachsene, die nicht weichen, wenn es schwierig wird.

Identitätssuche mit zwei Familien im Herzen

Während Jugendliche sich von den Eltern abgrenzen, suchen sie gleichzeitig nach ihrer Herkunft und ihrem inneren Selbstbild. Pflegekinder erleben dabei oft ein doppeltes Spannungsfeld: Sie haben zwei Familiensysteme in sich – die Herkunftsfamilie und die Pflegefamilie. Beides ist Teil ihrer Identität.

In der Pubertät wächst das Bedürfnis, mehr über die eigene Vergangenheit zu wissen. Fragen nach der Herkunft, nach Geschwistern, nach dem „Warum“ werden lauter. Manchmal entstehen Idealisierungen oder eine Sehnsucht nach Kontakt zur Herkunftsfamilie. Für Pflegeeltern ist das oft schwer auszuhalten.

Doch wichtig ist: Diese Suche ist kein Misstrauensvotum gegenüber der Pflegefamilie, sondern ein notwendiger Entwicklungsschritt. Wer bin ich, wenn ich weder ganz hier noch ganz dort zu sein scheine? Jugendliche brauchen in dieser Phase ein Gegenüber, das nicht verletzt reagiert, sondern Verständnis zeigt.

Ablösung und Loyalitätskonflikte

Ein zentrales Thema der Pubertät ist die Abgrenzung – von Eltern, von Regeln, von vertrauten Strukturen. Für Pflegekinder ist diese Ablösung doppelt herausfordernd. Einerseits wollen sie selbstständiger werden, andererseits fühlen sie sich oft hin- und hergerissen zwischen zwei Bezugssystemen.

Loyalitätskonflikte nehmen zu: Darf ich mich der Pflegefamilie verbunden fühlen, obwohl meine leiblichen Eltern noch leben? Muss ich mich für eine Seite entscheiden? Diese unbewussten Fragen können zu innerer Zerrissenheit führen. Manche Jugendliche distanzieren sich plötzlich stark von der Pflegefamilie, andere lehnen beide Systeme ab.

Pflegeeltern sollten diesen Prozess nicht persönlich nehmen. Ablösung ist nicht Ablehnung. Sie ist ein gesunder Entwicklungsschritt – auch wenn er sich manchmal schmerzhaft anfühlt.

Emotionale Schwankungen und alte Wunden

Die Pubertät bringt emotionale Turbulenzen mit sich: Stimmungsschwankungen, Unsicherheit, Angst vor Ablehnung, Sehnsucht nach Anerkennung. Bei Pflegekindern können diese Gefühle verstärkt auftreten – besonders dann, wenn frühe Bindungserfahrungen brüchig oder belastet waren.

Unverarbeitete Erlebnisse, Verlustängste oder ungelöste Traumata können in dieser Phase neu auftauchen. Die Jugendlichen können überfordert sein mit ihren Gefühlen – und suchen Entlastung in selbstschädigendem Verhalten, Rückzug oder aggressiven Ausbrüchen.

Pflegeeltern sollten sich bewusst machen: Nicht jedes Verhalten ist steuerbar. Hinter vielen Konflikten stecken tieferliegende Themen. Ruhe, Beziehung und Verständnis helfen mehr als Strafen oder Moral. Wer es schafft, auch in schwierigen Momenten Halt zu geben, wird zur stabilen Insel im Sturm.

Grenzen und Freiheiten in Balance halten

Jugendliche brauchen Orientierung. Sie wollen Regeln hinterfragen – aber gleichzeitig wissen, woran sie sind. Pflegekinder testen Grenzen oft besonders intensiv. Nicht, weil sie destruktiv sind, sondern weil sie Sicherheit suchen.

Grenzen geben Halt. Aber sie müssen nachvollziehbar, verhandelbar und respektvoll sein. Pflegeeltern stehen hier vor einer anspruchsvollen Aufgabe: Sie müssen flexibel reagieren, ohne sich selbst zu verlieren. Und sie müssen unterscheiden: Was ist pubertärer Protest – und was Ausdruck eines tieferliegenden Problems?

Gleichzeitig brauchen Jugendliche Freiräume. Entscheidungen treffen, Fehler machen, sich ausprobieren – all das gehört zur Entwicklung. Pflegeeltern begleiten diesen Prozess idealerweise als verlässliche, aber nicht übergriffige Partner. Das Vertrauen in die Entwicklung des Kindes ist dabei zentral.

Schulische Krisen verstehen und begleiten

In der Pubertät sinkt bei vielen Jugendlichen die schulische Motivation. Bei Pflegekindern kann das besonders auffallen – oder besonders dramatisch verlaufen. Konzentrationsprobleme, Schulverweigerung, Leistungseinbrüche oder Konflikte mit Lehrkräften sind keine Seltenheit.

Die Gründe sind vielfältig: Neben der normalen Pubertätsentwicklung wirken bei Pflegekindern oft alte Ängste, Versagensgefühle oder negative Erfahrungen mit Autoritätspersonen nach. Manche Jugendliche schämen sich für ihre Herkunft oder fühlen sich im Schulsystem nicht gesehen.

Pflegeeltern sollten gemeinsam mit Schule und Jugendhilfe nach Lösungen suchen – statt Druck aufzubauen. Verständnis, strukturierte Unterstützung und vertrauensvolle Zusammenarbeit sind wichtiger als Notendruck. Manchmal braucht es auch therapeutische Hilfe oder individuelle Förderangebote.

Körper, Sexualität und Grenzfragen

Körperliche Veränderungen, erste sexuelle Erfahrungen, Fragen nach Geschlecht und Orientierung – all das gehört zur Pubertät. Für Pflegekinder kann dieses Thema besonders schambesetzt oder konfliktreich sein. Vor allem dann, wenn Grenzverletzungen oder sexualisierte Gewalt Teil ihrer Geschichte sind.

Manche Jugendliche reagieren mit übermäßiger Scham, andere mit grenzüberschreitendem Verhalten. Unsicherheiten, unangemessene Annäherungen oder übertriebene Abgrenzung sind Ausdruck innerer Konflikte. Pflegeeltern brauchen hier eine klare, aber nicht beschämende Haltung.

Aufklärung sollte ehrlich, altersgerecht und ruhig erfolgen. Offenheit schafft Vertrauen. Wenn das Thema tabuisiert wird, verstärken sich Unsicherheiten. Auch hier gilt: Beziehung und Sicherheit sind der Schlüssel – nicht Kontrolle oder Verbote.

Freundschaften, Gruppenzwang und soziale Medien

Freundschaften gewinnen in der Pubertät an Bedeutung. Gleichzeitig steigt der Einfluss von Gleichaltrigen – und damit der Druck, dazuzugehören. Für Pflegekinder, die sich oft anders oder nicht zugehörig fühlen, kann das belastend sein.

Sie sind besonders anfällig für Gruppenzwang, riskantes Verhalten oder das Bedürfnis, überangepasst zu wirken. Auch soziale Medien spielen eine große Rolle – sie bieten Ablenkung, Zugehörigkeit, aber auch neue Risiken wie Cybermobbing oder Selbstwertvergleiche.

Pflegeeltern sollten wachsam, aber nicht kontrollierend begleiten. Interesse zeigen, Gespräche anbieten, Regeln gemeinsam entwickeln – das stärkt das Vertrauen. Wichtig ist, dass Jugendliche erleben: Ich werde gesehen, auch wenn ich mich von meiner Pflegefamilie entferne.

Rückschritte, Zweifel und das Bedürfnis nach Sicherheit

In der Pubertät wirken Jugendliche oft selbstbewusst, provokant oder unabhängig. Doch innerlich sind sie häufig verunsichert. Pflegekinder erleben in dieser Phase nicht selten emotionale Rückschritte: Sie wirken kindlich, klammern, suchen übermäßig Nähe – oder testen massiv Grenzen.

Das ist kein Widerspruch, sondern Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Sicherheit. Je größer die äußeren Veränderungen, desto stärker das Bedürfnis nach innerer Stabilität. Pflegeeltern sollten solche Phasen nicht als Rückfall werten – sondern als Chance, Bindung zu stärken.

Zuwendung, Rituale, Verlässlichkeit und das Signal: „Ich bin auch jetzt für dich da“ – das sind die stärksten Antworten auf pubertäre Verunsicherung. Pflegekinder brauchen in dieser Zeit besonders viel emotionale Zuverlässigkeit.

Unterstützung suchen – und annehmen

Pflegeeltern sind keine Superhelden. Gerade in der Pubertät stoßen viele an ihre Grenzen – emotional, zeitlich, fachlich. Das ist normal. Und es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Verantwortungsbewusstsein, sich Hilfe zu holen.

Fachberatung durch den Träger, Supervision, Austausch mit anderen Pflegefamilien oder therapeutische Begleitung können entlasten und neue Perspektiven eröffnen. Auch Jugendämter, Schulsozialarbeit oder spezialisierte Beratungsstellen sind wichtige Anlaufstellen.

Wichtig ist: Pflegeeltern müssen diesen Weg nicht allein gehen. Die Pubertät ist eine stürmische, aber auch wertvolle Phase. Mit Unterstützung, Offenheit und Beziehung gelingt sie – auch unter besonderen Voraussetzungen.

Fazit: Auch das geht vorbei – aber nicht spurlos

Die Pubertät bringt Bewegung in jedes Familiensystem – in Pflegefamilien manchmal besonders intensiv. Doch gerade in dieser Zeit zeigt sich, wie tragfähig Beziehungen sind. Wenn Pflegeeltern es schaffen, ihrem Jugendlichen durch diese Phase hindurch Halt, Respekt und Zugewandtheit zu geben, entsteht bleibende Bindung.

Als Jugendhilfeträger begleiten wir Pflegefamilien in dieser herausfordernden Zeit mit Fachwissen, Erfahrung und einem offenen Ohr. Denn stabile Beziehungen sind das, was Pflegekinder auch in der Pubertät am meisten brauchen.

Die nächsten Schritte

Wenn wir Ihr Interesse geweckt haben und Sie sich vorstellen können, einem Pflegekind ein neues zuhause zu geben,
nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Schreiben Sie uns eine E-Mail: bewerbung@lebensraeume-fh.de
Danach vereinbaren wir einen unverbindlichen Telefontermin. Hier stehen wir Ihnen für alle individuellen Fragen zur Verfügung.

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