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Pflegekinder bringen ihre Geschichte mit. Diese Geschichte endet nicht an der Tür der Pflegefamilie, denn ein zentrales Element bleibt bestehen: die Verbindung zur Herkunftsfamilie. Die Beziehung zu den leiblichen Eltern ist für viele Pflegekinder emotional hochkomplex. Für Pflegeeltern stellt sie eine dauerhafte Herausforderung, aber auch eine Chance dar. In diesem Beitrag beleuchten wir aus Sicht eines erfahrenen Jugendhilfe-Trägers, wie Pflegefamilien konstruktiv mit leiblichen Eltern umgehen können – im Sinne des Kindeswohls.
Die Rolle der Herkunftsfamilie verstehen
Pflegekinder kommen in der Regel nicht aus heiterem Himmel in ein neues Zuhause. Sie bringen eine Vorgeschichte mit, die oft von Vernachlässigung, Gewalt, Sucht oder psychischer Erkrankung geprägt ist. Dennoch bleibt die Herkunftsfamilie für das Kind wichtig – als Teil der eigenen Identität. Pflegeeltern stehen vor der Aufgabe, diese Bedeutung zu erkennen und anzuerkennen, auch wenn sie selbst möglicherweise Unverständnis oder Skepsis gegenüber den leiblichen Eltern empfinden. Das Verständnis für die biografische Bedeutung der Herkunftsfamilie ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Pflegekinder ihre Geschichte annehmen und in eine gesunde Identitätsentwicklung kommen können.
Besuchskontakte fachlich begleiten und einordnen
Ein zentrales Element im Pflegeverhältnis sind die sogenannten Besuchskontakte – auch Umgangskontakte genannt. Ob, wie oft und in welcher Form diese stattfinden, wird im Hilfeplanverfahren gemeinsam mit Jugendamt und Vormund geregelt. Bei uns werden sämtliche Umgänge stets durch eine Fachkraft unseres Trägers begleitet. Diese Begleitung gewährleistet die emotionale Sicherheit des Kindes, ermöglicht eine fachliche Beobachtung und bietet allen Beteiligten eine geschützte Struktur. Die Vorbereitung erfolgt im Alltag durch Gespräche und Orientierung gebende Rituale. Nach den Kontakten nehmen wir uns Zeit für die Nachbereitung, um zu verstehen, wie das Kind den Kontakt emotional verarbeitet hat. Dabei prüfen wir fortlaufend, ob und in welcher Form die Besuchskontakte weiterhin dem Kindeswohl dienen.
Loyalitätskonflikte frühzeitig erkennen und auflösen
Pflegekinder stehen häufig in einem inneren Spannungsfeld. Einerseits sollen sie sich in der Pflegefamilie sicher und angenommen fühlen, andererseits möchten sie die Beziehung zu ihren leiblichen Eltern nicht aufgeben. Viele Kinder empfinden Schuldgefühle, wenn sie sich in der Pflegefamilie wohlfühlen – als würden sie damit ihre Herkunft verraten. Andere schwanken in ihrer Zuneigung oder ziehen sich zurück. Solche Loyalitätskonflikte sind kein Zeichen von Undankbarkeit, sondern Ausdruck einer tiefen emotionalen Zerrissenheit. Pflegeeltern sollten diesen inneren Konflikt nicht persönlich nehmen, sondern dem Kind signalisieren, dass beide Lebenswelten Platz haben dürfen.
Kommunikation mit Herkunftseltern professionell gestalten
Nicht alle leiblichen Eltern sind kooperativ, manche leiden unter psychischen Erkrankungen oder leben in prekären Verhältnissen. Dennoch bleiben sie rechtlich und emotional relevant für das Kind. Eine sachliche, respektvolle Kommunikation ist in vielen Fällen hilfreich, um Konflikte zu vermeiden und die Beziehung zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie im Sinne des Kindes zu gestalten. Pflegeeltern sollten dabei unterstützt werden, ihre Rolle klar zu definieren, nicht in Konfrontation zu geraten und Abgrenzung bewusst zuzulassen. Professionell moderierte Gespräche mit Unterstützung durch unseren Träger schaffen hier den nötigen Rahmen, um Missverständnisse zu vermeiden und tragfähige Formen des Austauschs zu ermöglichen.
Kindern ein realistisches Bild ihrer Herkunft geben
Kinder spüren Spannungen, hören mit und fragen nach. Sie entwickeln schnell ihre eigenen Vorstellungen, wenn es an klaren Informationen fehlt. Deshalb ist es wichtig, kindgerecht über die Herkunftsfamilie zu sprechen – auch über schwierige Aspekte. Das erfordert von Pflegeeltern Mut zur Offenheit und die Fähigkeit, altersgerechte Worte zu finden. Ziel ist es nicht, die Vergangenheit zu beschönigen, sondern dem Kind zu helfen, seine Geschichte zu verstehen. Biografiearbeit ist hier ein zentrales Werkzeug. Sie hilft, Erinnerungen einzuordnen, Informationen zu strukturieren und emotionale Deutungshilfe zu geben. Wir bieten Pflegefamilien praxisnahe Unterstützung in der Durchführung von Biografiearbeit und begleiten sie auch bei schwierigen Fragen.
Schutz bei schwierigen oder gefährdenden Familienverhältnissen
In manchen Fällen stellt der Kontakt zur Herkunftsfamilie eine direkte Gefährdung des Kindeswohls dar. Dies kann beispielsweise bei bestehenden Missbrauchserfahrungen, psychischer Gewalt oder instabilen Lebensverhältnissen der Fall sein. In solchen Situationen greifen Schutzkonzepte, die in enger Zusammenarbeit mit dem Jugendamt entwickelt werden. Wir begleiten jede Einzelfallprüfung und nehmen an allen Hilfeplanprozessen teil. Bei Bedarf kann der Umgang eingeschränkt, ausschließlich begleitet oder gänzlich ausgesetzt werden. Unsere Aufgabe besteht dabei auch darin, Pflegeeltern emotional zu stärken und ihnen Sicherheit im Umgang mit potenziell belastenden oder gefährdenden Situationen zu geben.
Eine tragfähige Haltung entwickeln
Der Umgang mit der Herkunftsfamilie verlangt von Pflegeeltern mehr als Einfühlungsvermögen. Er erfordert eine reflektierte, professionelle Haltung. Es geht darum, die Herkunft des Kindes zu akzeptieren, ohne sich mit ihr identifizieren zu müssen. Pflegeeltern übernehmen keine Ersatzrolle, sondern begleiten das Kind ein Stück weit auf seinem Lebensweg. Dabei sind sie Teil eines größeren Systems, das gemeinsam Verantwortung trägt. Diese Haltung lässt sich durch Erfahrung, Austausch mit anderen Pflegeeltern und durch gezielte Schulung und Beratung entwickeln. Wir bieten genau dafür regelmäßige Reflexionsräume, themenspezifische Schulungen und persönliche Beratung an.