Pflegeeltern leisten Großes – Tag für Tag. Sie geben Kindern mit schwieriger Vergangenheit Stabilität, Zuwendung und einen sicheren Ort. Dabei geraten sie selbst oft an ihre Grenzen. Zwischen Alltagsorganisation, Behördenterminen, emotionalen Ausnahmesituationen und manchmal auch familiären Konflikten bleibt oft eines auf der Strecke: die eigene Fürsorge. Doch gerade weil Pflegeeltern so viel geben, ist Selbstfürsorge keine Nebensache – sondern Voraussetzung für langfristige Stabilität und gesunde Beziehungen.
In diesem Artikel erklären wir als Jugendhilfe-Träger, warum Selbstfürsorge für Pflegeeltern essenziell ist, was sie konkret bedeuten kann – und wie sie im Pflegealltag umsetzbar wird.
Was Selbstfürsorge bedeutet – und was nicht
Selbstfürsorge ist mehr als Wellness, Yoga oder ein Spaziergang. Sie beginnt mit einer inneren Haltung: Ich bin wichtig. Meine Bedürfnisse zählen. Ich darf Pausen machen, Hilfe annehmen und Nein sagen. Für Pflegeeltern bedeutet das, sich selbst als Mensch mit Grenzen und Bedürfnissen ernst zu nehmen – nicht nur als „funktionierende“ Bezugsperson.
Gleichzeitig heißt Selbstfürsorge nicht, egoistisch zu sein oder Kinder „zu vernachlässigen“. Im Gegenteil: Nur wer selbst einigermaßen stabil ist, kann für andere dauerhaft sorgen. Selbstfürsorge ist kein Luxus – sie ist ein Beitrag zur Qualität der Beziehung zum Pflegekind.
Warum Pflegeeltern besonders gefährdet sind
Pflegeeltern leben mit Kindern, die oft besondere Bedarfe mitbringen: Traumata, Entwicklungsverzögerungen, psychische Auffälligkeiten oder große Unsicherheiten. Das fordert emotional – und körperlich. Gleichzeitig ist das gesellschaftliche Verständnis für die Belastungen begrenzt. Viele Pflegeeltern erleben fehlende Anerkennung, hohe Erwartungen und wenig praktische Unterstützung.
Hinzu kommt: Pflegeeltern wollen „es gut machen“ – was oft zu Überengagement führt. Wer ständig mitfühlt, kämpft, vermittelt, organisiert und sich zurücknimmt, läuft Gefahr auszubrennen. Emotionale Erschöpfung, Reizbarkeit, Isolation und Schuldgefühle sind häufige Folgen fehlender Selbstfürsorge.
Warnsignale erkennen: Wann wird es zu viel?
Selbstfürsorge beginnt mit dem Wahrnehmen der eigenen Grenzen. Typische Anzeichen für Überforderung können sein:
- ständige Erschöpfung trotz ausreichend Schlaf
- Gereiztheit, Ungeduld oder Rückzug
- körperliche Beschwerden ohne klare Ursache
- das Gefühl, nichts mehr „richtig“ zu machen
- innerer Druck, keine Hilfe annehmen zu dürfen
Wer diese Signale früh erkennt, kann gegensteuern. Selbstfürsorge heißt auch: ehrlich hinschauen, bevor es eskaliert. Wir als Träger nehmen diese Warnzeichen ernst – und ermutigen Pflegeeltern, sich frühzeitig zu melden.
Was Selbstfürsorge im Pflegealltag konkret bedeuten kann
Selbstfürsorge ist individuell. Aber es gibt einige Strategien, die vielen Pflegeeltern helfen können:
- Pausen schaffen: feste Auszeiten im Alltag einplanen – auch wenn es nur 20 Minuten sind
- Netzwerke nutzen: sich mit anderen Pflegeeltern austauschen, Gruppen besuchen oder Patenschaften aufbauen
- Verantwortung teilen: nicht alles selbst machen – Hilfe zulassen (Partner, Freunde, Jugendhilfe)
- Emotionen ernst nehmen: Gefühle benennen, aufschreiben, mit Vertrauenspersonen teilen
- Eigene Interessen pflegen: Hobbys, Bewegung, kreative Tätigkeiten oder einfach Ruhephasen
Es sind nicht die großen Veränderungen, die den Unterschied machen – sondern die kleinen, regelmäßigen Schritte, die die eigene Kraft erhalten.
Unterstützung aktiv einfordern
Pflegeeltern haben Anspruch auf Beratung, Fortbildung und Unterstützung – nicht erst in der Krise. Wer frühzeitig mit der Fachberatung spricht, profitiert langfristig. Dazu gehören:
- regelmäßige Reflexionsgespräche
- Angebote zur Supervision oder Einzelberatung
- Fortbildungen zum Thema Resilienz und Selbstschutz
- Hilfe bei Alltagsorganisation oder Krisenintervention
Wir als Träger sehen es als unsere Aufgabe, nicht nur die Kinder zu begleiten – sondern auch die Pflegeeltern stark zu machen. Denn stabile Pflegepersonen sind der wichtigste Schutzfaktor für ein Pflegekind.
Selbstfürsorge im Familienalltag etablieren
Selbstfürsorge funktioniert nicht „nebenbei“. Sie muss Teil des Familienlebens werden. Das gelingt besser, wenn alle Familienmitglieder einbezogen werden. Kinder – auch Pflegekinder – profitieren davon, wenn ihre Bezugspersonen klar und gut für sich sorgen. Das vermittelt emotionale Sicherheit.
Konkrete Ideen:
- Familienrat: gemeinsam besprechen, was alle brauchen
- Entlastung durch Wochenpläne oder Aufgabenverteilung
- ruhige Abendroutinen für alle
- feste Rituale für Elternzeit (z. B. gemeinsamer Kaffee, Spaziergang ohne Kinder)
Selbstfürsorge sichtbar zu machen, ist auch Vorbildarbeit: Kinder lernen, dass man sich um sich selbst kümmern darf – und soll.
Was Pflegeeltern oft im Weg steht
Trotz Wissen um die Wichtigkeit fällt es vielen Pflegeeltern schwer, für sich selbst zu sorgen. Häufige innere Hindernisse sind:
- „Ich darf mich nicht beschweren, das Kind hat es schwerer.“
- „Wenn ich es nicht schaffe, bin ich ungeeignet.“
- „Ich kann doch jetzt keine Pause machen, wenn alles brennt.“
- „Andere schaffen das auch ohne Hilfe.“
Diese Gedanken sind verständlich – aber nicht hilfreich. Sie führen zu Überforderung, Schuldgefühlen und Isolation. Es hilft, sich bewusst zu machen: Selbstfürsorge ist ein Zeichen von Verantwortung – nicht von Schwäche.
Umgang mit Erwartungsdruck und Perfektionismus
Pflegeeltern stehen unter doppeltem Druck: Sie wollen dem Kind gerecht werden – und gleichzeitig den Anforderungen des Systems entsprechen. Hilfeplangespräche, Berichte, Begutachtungen – all das erzeugt ein Gefühl von ständiger Bewertung.
Daraus entsteht schnell Perfektionismus: alles richtig machen wollen, keine Schwäche zeigen, Erwartungen erfüllen. Doch dieser Anspruch ist unmenschlich. Niemand kann immer funktionieren – und das muss auch niemand.
Entlastend wirkt:
- eigene Leistung realistisch sehen
- mit anderen Pflegeeltern offen sprechen
- Fehler zulassen und daraus lernen
- sich bewusst gegen Vergleiche wehren
Langfristig gesund bleiben – auch nach der Pflegezeit
Pflegeelternschaft ist oft ein Lebensabschnitt von mehreren Jahren – manchmal Jahrzehnten. Umso wichtiger ist es, langfristig auf die eigene Gesundheit zu achten. Wer zu lange über die eigenen Grenzen geht, riskiert nicht nur Erschöpfung, sondern auch eigene Erkrankungen.
Auch nach der Pflegezeit – etwa wenn ein Kind in die Verselbstständigung geht – ist Selbstfürsorge zentral. Der Übergang kann emotional belastend sein. Pflegeeltern dürfen sich Unterstützung holen, auch wenn das Pflegeverhältnis formal endet. Die eigene Lebensqualität ist und bleibt wichtig.
Gesellschaftliche Anerkennung stärken – auch durch Sichtbarkeit
Selbstfürsorge wird leichter, wenn das Umfeld mitzieht. Pflegeeltern brauchen nicht nur Fachberatung, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung, Entlastung und Unterstützung. Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerke und Austauschforen können dazu beitragen, dass Pflegeeltern sich nicht allein fühlen.
Auch wir als Träger setzen uns dafür ein, dass das Thema Selbstfürsorge sichtbarer wird – in Fortbildungen, Fachgesprächen und Medienarbeit. Denn nur, wenn wir offen darüber sprechen, können sich Haltungen ändern.
Kinder profitieren direkt von der Selbstfürsorge ihrer Eltern
Oft unterschätzt, aber wissenschaftlich belegt: Kinder – insbesondere solche mit belastender Vergangenheit – profitieren unmittelbar davon, wenn ihre Bezugspersonen stabil und emotional präsent sind. Selbstfürsorge wirkt sich positiv auf die Beziehungsqualität aus, erhöht die Geduld in Konfliktsituationen und stärkt das emotionale Klima in der Familie. Wenn Pflegeeltern regelmäßig Kraft tanken, gelingt es ihnen besser, angemessen auf herausforderndes Verhalten zu reagieren, statt überfordert oder impulsiv zu reagieren.
Kinder mit Bindungsunsicherheiten spüren oft sehr genau, wie belastet oder ausgeglichen ihre Bezugspersonen sind. Deshalb ist Selbstfürsorge kein indirekter Luxus, sondern ein direkter Beitrag zur Sicherheit des Pflegekindes. Es sendet die Botschaft: „Ich bin verlässlich. Ich sorge gut für dich – und für mich.“ Dieser Umgang mit sich selbst wird zu einem wichtigen Vorbild für die kindliche Selbstregulation und den eigenen Umgang mit Stress.
Kleine Schritte – große Wirkung: Erste praktische Übungen
Der Einstieg in Selbstfürsorge gelingt oft über kleine Veränderungen im Alltag. Pflegeeltern können z. B. mit einer einfachen Atemübung am Morgen starten, bewusst eine Mahlzeit ohne Unterbrechung genießen oder abends fünf Minuten innehalten und sich drei gute Momente des Tages notieren. Auch kurze Bewegungseinheiten, ein Spaziergang mit Achtsamkeit oder bewusster Musikgenuss können stärkend wirken.
Eine weitere bewährte Methode ist das „Emotionstagebuch“: Pflegeeltern schreiben regelmäßig auf, was sie bewegt, wo sie sich gestresst fühlen und was ihnen guttat. Das hilft, Muster zu erkennen und Selbstfürsorge gezielter zu planen. Auch das Führen eines einfachen Wochenplans mit festen Selbstfürsorgezeiten kann wirksam sein – z. B. ein fester Termin für sich selbst im Kalender, der ebenso verbindlich behandelt wird wie ein Arzttermin.
Fazit: Selbstfürsorge ist Fürsorge – für alle
Pflegeeltern, die gut für sich selbst sorgen, sind stabilere Begleiter:innen für ihre Pflegekinder. Sie bleiben empathisch, handlungsfähig und gesund. Selbstfürsorge ist kein Rückzug – sondern eine Investition in tragfähige Beziehungen.
Wir als Jugendhilfe-Träger ermutigen Pflegeeltern, ihre eigene Stärke zu schützen. Mit Beratung, Austausch und dem klaren Signal: Du darfst dich selbst wichtig nehmen.
Die nächsten Schritte
Wenn wir Ihr Interesse geweckt haben und Sie sich vorstellen können, einem Pflegekind ein neues zuhause zu geben,
nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Schreiben Sie uns eine E-Mail: bewerbung@lebensraeume-fh.de
Danach vereinbaren wir einen unverbindlichen Telefontermin. Hier stehen wir Ihnen für alle individuellen Fragen zur Verfügung.