Kulturelle Vielfalt in Pflegefamilien: Chancen interkultureller Pflegeverhältnisse

Pflegefamilien sind so bunt wie unsere Gesellschaft. Immer häufiger begegnen sich in Pflegeverhältnissen unterschiedliche kulturelle, sprachliche oder religiöse Hintergründe. Ein Pflegekind mit Migrationsgeschichte oder einer anderen kulturellen Prägung bringt dabei nicht nur zusätzliche Herausforderungen mit, sondern auch große Chancen – für alle Beteiligten.

Als Jugendhilfe-Träger erleben wir täglich, wie interkulturelle Pflegeverhältnisse gelingen können, wenn Offenheit, Respekt und fachliche Begleitung zusammenkommen. In diesem Beitrag zeigen wir, worauf es bei kultureller Vielfalt in Pflegefamilien ankommt, welche Stolperfallen es geben kann – und wie Pflegeeltern, Kinder und Fachkräfte voneinander lernen können.

Was bedeutet interkulturelles Pflegeverhältnis?

Ein interkulturelles Pflegeverhältnis liegt dann vor, wenn das Pflegekind und die Pflegefamilie unterschiedliche kulturelle oder sprachliche Wurzeln haben. Das kann die Herkunft betreffen, Religion, Werte, Erziehungshaltungen oder auch Gewohnheiten im Alltag. Manchmal lebt ein Kind mit Fluchterfahrung in einer einheimischen Pflegefamilie – oder ein Kind mit deutschem Hintergrund wächst bei einer Familie mit Migrationsbiografie auf.

Diese Konstellationen sind keineswegs Ausnahmen. In vielen deutschen Großstädten haben über 50 % der Kinder unter sechs Jahren eine Migrationsgeschichte. Kulturelle Vielfalt ist Realität – auch im Pflegewesen.

Warum kulturelle Unterschiede oft erst im Alltag sichtbar werden

Kulturelle Unterschiede zeigen sich nicht sofort. Sie werden spürbar, wenn es um Alltagsfragen geht: Wie feiern wir Feste? Welche Speisen stehen auf dem Tisch? Wie drücken wir Nähe und Zuneigung aus? Was bedeutet Erziehung, Gehorsam, Freiheit oder Respekt? Diese Unterschiede sind oft subtil – und können zu Missverständnissen führen.

Wichtig ist, dass Pflegeeltern sensibel für diese Unterschiede bleiben, ohne sie zu dramatisieren. Ein Kind, das aus einer anderen Kultur kommt, muss nicht „angepasst“ werden. Es braucht vielmehr Raum, seine Identität zu entfalten – im sicheren Rahmen der Pflegefamilie. Dazu gehört auch die Bereitschaft, kulturelle Unterschiede als Chance zu begreifen.

Kulturelle Identität ist Teil der Biografiearbeit

Pflegekinder suchen nach Zugehörigkeit und Identität. Wenn sie aus einem anderen Kulturkreis stammen, ist diese Suche besonders komplex. Pflegeeltern stehen dann vor der Aufgabe, kulturelle Wurzeln des Kindes nicht nur zu akzeptieren, sondern aktiv zu integrieren. Das beginnt bei Sprache, Namen und Gewohnheiten – und reicht bis hin zu Feiertagen, Traditionen oder religiösen Bezügen.

In der Biografiearbeit ist kulturelle Identität ein zentrales Thema. Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehöre ich hin? Diese Fragen beschäftigen viele Pflegekinder – unabhängig von der Herkunft. Pflegeeltern können durch Offenheit, ehrliche Gespräche und gezielte Impulse helfen, dass Kinder beide Seiten ihrer Herkunft nebeneinander annehmen können.

Was Pflegeeltern in interkulturellen Konstellationen brauchen

Pflegeeltern, die ein Kind mit anderer kultureller Prägung aufnehmen, brauchen vor allem eine offene Grundhaltung. Sie müssen bereit sein, sich mit neuen Perspektiven auseinanderzusetzen, ohne ihre eigenen Werte komplett aufzugeben. Es geht nicht darum, das eigene Leben zu „verändern“, sondern das Kind in seiner Andersartigkeit zu respektieren.

Zudem ist Wissen hilfreich: über Herkunftsländer, Fluchtgründe, religiöse Traditionen, Essgewohnheiten oder Sprachunterschiede. Niemand muss Experte werden – aber Interesse und Lernbereitschaft wirken stärkend. Wir als Träger stellen dafür Materialien, Kontakte und Schulungen zur Verfügung. Auch Vernetzung mit anderen interkulturellen Pflegefamilien ist wertvoll.

Sprachliche Unterschiede gemeinsam überwinden

Sprache ist mehr als Kommunikation – sie ist Zugang zu Gefühlen, Ausdruck von Identität und Voraussetzung für Teilhabe. Wenn ein Pflegekind mit geringen Deutschkenntnissen kommt, ist Geduld gefragt. Gleichzeitig braucht es gezielte Unterstützung, um sprachliche Barrieren abzubauen.

Pflegeeltern können hier viel leisten: durch sprachfördernde Alltagsgestaltung, Bilderbücher, Singen, Vorlesen und das Benennen von Gefühlen. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit Kita, Schule und Logopädie. Und: Die Muttersprache des Kindes darf nicht verdrängt werden. Wenn möglich, sollte sie gefördert und wertgeschätzt werden – etwa durch Bücher, Lieder oder Kontakte zur Herkunftssprache.

Feste, Rituale und Religion sensibel gestalten

Feste und Rituale prägen unsere Identität. In interkulturellen Pflegeverhältnissen stellt sich die Frage: Welche Feste feiern wir? Welche Traditionen werden gelebt? Wie gehen wir mit religiösen Bräuchen um? Hier ist das Gespräch entscheidend.

Pflegeeltern sollten das Pflegekind einbeziehen: Was kennst du? Was ist dir wichtig? Was möchtest du beibehalten? Gemeinsam lassen sich neue Rituale entwickeln, die Altvertrautes und Neues verbinden. Ob Ramadan, Weihnachten oder ein anderer Feiertag – das Wichtigste ist, dass das Kind sich gesehen und akzeptiert fühlt.

Umgang mit Vorurteilen

Interkulturelle Pflegefamilien sind mit Blicken, Kommentaren oder offenen Fragen konfrontiert: „Ist das Ihr Kind?“, „Wo kommt es wirklich her?“ oder sogar: „Warum nehmen Sie ein fremdes Kind auf?“ Solche Aussagen können verletzend sein – für Kind und Eltern gleichermaßen.

Pflegeeltern sollten vorbereitet sein, solche Situationen einzuordnen – und dem Kind zu vermitteln: „Du bist nicht falsch, die Frage war es.“ Selbstbewusste Kommunikation, kindgerechte Erklärungen und der Austausch mit anderen Betroffenen helfen, mit solchen Erfahrungen umzugehen.

Interkulturelle Kompetenz im Hilfesystem stärken

Nicht nur Pflegeeltern, auch Fachkräfte in Jugendämtern, Schulen, Kitas und medizinischen Einrichtungen müssen interkulturell sensibel sein. Das betrifft Sprache, Kommunikation, Wahrnehmung von Familienmodellen und Bewertungen von Verhalten. Leider mangelt es oft an Schulungen oder Erfahrung.

Wir setzen uns dafür ein, interkulturelle Kompetenz systematisch aufzubauen – durch Fortbildungen, Supervision und Beratung. Pflegefamilien dürfen erwarten, dass ihre Besonderheiten ernst genommen und unterstützt werden. Gemeinsam können wir das System so gestalten, dass Vielfalt als Ressource erkannt wird – nicht als Problem.

Chancen für alle Beteiligten

Interkulturelle Pflegeverhältnisse sind keine Belastung – sie sind eine Chance. Sie ermöglichen Kindern, neue Perspektiven zu erleben, Brücken zu bauen zwischen verschiedenen Lebenswelten und Vorurteile abzubauen. Auch Pflegeeltern profitieren: Sie lernen andere Kulturen kennen, hinterfragen eigene Denkmuster und wachsen an neuen Erfahrungen.

Geschwisterkinder entwickeln früh ein Verständnis für Vielfalt. Fachkräfte erweitern ihren Horizont. Und die Gesellschaft profitiert langfristig von Familien, die kulturelle Unterschiede nicht trennen, sondern verbinden. Vielfalt im Pflegewesen ist gelebte Integration.

Fazit: Vielfalt braucht Haltung – und Unterstützung

Interkulturelle Pflegeverhältnisse sind eine Bereicherung – wenn sie professionell begleitet werden. Pflegeeltern brauchen Offenheit, Wissen und ein unterstützendes Umfeld. Pflegekinder brauchen Raum für Identität, Sprache, Rituale und Schutz vor Vorurteilen.

Wir als Jugendhilfe-Träger begleiten interkulturelle Pflegefamilien mit Schulung, Beratung und Praxisnähe – weil wir wissen: Vielfalt ist kein Risiko, sondern eine Ressource.

Die nächsten Schritte

Wenn wir Ihr Interesse geweckt haben und Sie sich vorstellen können, einem Pflegekind ein neues zuhause zu geben,
nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Schreiben Sie uns eine E-Mail: bewerbung@lebensraeume-fh.de
Danach vereinbaren wir einen unverbindlichen Telefontermin. Hier stehen wir Ihnen für alle individuellen Fragen zur Verfügung.

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