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Der Entschluss, Pflegefamilie zu werden, ist eine bedeutsame Entscheidung. Sie erfordert Mut, Engagement und die Bereitschaft, einem Kind in schwieriger Lebenslage Stabilität zu geben. Aus unserer Erfahrung als Jugendhilfe-Träger begleiten wir seit vielen Jahren Pflegefamilien in den unterschiedlichsten Konstellationen.
Was wir dabei immer wieder hören: „Das hätte ich gerne vorher gewusst.“ Deshalb möchten wir in diesem Beitrag zehn Aspekte teilen, die viele Pflegeeltern vor ihrer ersten Pflegeaufnahme als besonders hilfreich empfunden hätten.
1. Pflegekinder bringen eine Vorgeschichte mit – und die wirkt nach
Pflegekinder haben in der Regel belastende Erfahrungen gemacht – z. B. Vernachlässigung, Misshandlung, Suchtproblematiken oder instabile Bindungen. Diese Prägungen beeinflussen das Verhalten und Erleben der Kinder teils stark. Sie reagieren mitunter ängstlich, misstrauisch, aggressiv oder auch sehr angepasst. Diese Verhaltensweisen sind oft Schutzstrategien.
Unser Rat: Pflegeeltern sollten sich mit Themen wie Trauma, Bindung und kindlicher Entwicklung auseinandersetzen. Eine traumasensible Haltung hilft, Verhalten besser einzuordnen und angemessen darauf zu reagieren.
2. Der Anfang ist selten einfach
Die Eingewöhnungszeit ist für alle Beteiligten emotional herausfordernd. Das Kind kommt in eine völlig neue Umgebung, muss sich auf fremde Menschen, Regeln und Abläufe einstellen. Gleichzeitig müssen Pflegeeltern ein Gefühl für das Kind entwickeln, Bindung aufbauen und den Alltag neu organisieren.
Wichtig: Der Anfang braucht Zeit, Geduld und Unterstützung. Pflegeeltern sollten realistische Erwartungen haben und sich bewusst machen, dass Beziehungsaufbau ein Prozess ist. Regelmäßige Beratung durch Fachstellen hilft dabei, Unsicherheiten zu klären.
3. Pflegeeltern sind Teil eines Hilfeplansystems
Pflegeverhältnisse sind keine rein privaten Arrangements. Sie sind Teil eines öffentlich-rechtlichen Hilfeprozesses. Das bedeutet: Regelmäßige Hilfeplangespräche, Austausch mit Jugendamt, Vormund, Schulen, Therapien und ggf. anderen Fachkräften sind verpflichtend und sinnvoll.
Unser Tipp: Pflegeeltern sollten sich aktiv in Hilfeplangespräche einbringen, Anliegen klar kommunizieren und ihre Rolle im Hilfeprozess verstehen. Fachliche Begleitung unterstützt dabei, sich sicher und gehört zu fühlen.
4. Eigene Kinder brauchen Aufmerksamkeit und Schutz
In Familien mit eigenen Kindern kann ein Pflegeverhältnis neue Herausforderungen mit sich bringen. Eigene Kinder erleben die Veränderung der Familiensituation mit und müssen oft Rücksicht üben. Gleichzeitig können Konflikte oder Überforderung entstehen, wenn Pflegekinder auffälliges Verhalten zeigen.
Empfehlung: Eigene Kinder sollten auf die Aufnahme vorbereitet werden. Pflegeeltern müssen ihnen Raum für eigene Bedürfnisse lassen und Schutz bieten. Regelmäßige Gespräche, feste Rituale und exklusive „Elternzeit“ helfen, das Gleichgewicht zu halten.
5. Kinder „testen“ Bindungen – das ist kein Misstrauensvotum
Viele Pflegekinder haben die Erfahrung gemacht, dass Beziehungen abbrechen. Sie stellen Pflegeeltern auf die Probe: Halten sie durch? Bleiben sie freundlich? Reagieren sie verärgert? Das Verhalten kann provozierend, rücksichtslos oder distanzlos sein – oft, um sich zu schützen.
Fachlich bedeutet das: Pflegeeltern müssen konsequent und gleichzeitig verständnisvoll bleiben. Klare Grenzen, ruhiges Verhalten und ein verlässlicher Rahmen geben dem Kind Sicherheit. Es geht nicht darum, „alles richtig“ zu machen, sondern authentisch und zugewandt zu bleiben.
6. Die Herkunftsfamilie bleibt ein Thema – emotional und praktisch
Auch wenn das Kind nicht mehr bei seinen leiblichen Eltern lebt, bleibt die Herkunftsfamilie emotional bedeutsam. In vielen Fällen gibt es geregelte Umgangskontakte. Diese können für das Kind emotional sehr aufwühlend sein.
Unser Appell: Pflegeeltern benötigen Offenheit und Akzeptanz gegenüber der Lebensgeschichte des Kindes. Eine loyale Haltung hilft dem Kind, seine Identität zu integrieren. Wir unterstützen Pflegeeltern bei der Gestaltung eines konstruktiven Umgangs mit der Herkunftsfamilie.
7. Schule und Kita sind oft zusätzliche Baustellen
Pflegekinder bringen manchmal Entwicklungsrückstände, Konzentrationsprobleme oder soziale Auffälligkeiten mit, die sich in Bildungseinrichtungen zeigen. Oft fehlt es dort an Verständnis oder Erfahrung mit Pflegekindern.
Was hilft: Pflegeeltern sollten aktiv mit Erziehern und Lehrern in Kontakt treten, über den Hintergrund (in angemessenem Rahmen) informieren und Unterstützungsbedarf benennen. Auch Schulsozialarbeit und sonderpädagogische Angebote können einbezogen werden.
8. Es gibt Unterstützung – aber man muss sie aktiv nutzen
Pflegefamilien haben Anspruch auf Beratung, Schulung, Supervision und ggf. auch Entlastungsangebote. Dennoch werden diese Möglichkeiten nicht immer genutzt – sei es aus Zeitgründen oder Unsicherheit.
Deshalb wichtig: Pflegeeltern sollten frühzeitig Kontakte zu Fachstellen aufbauen, regelmäßig Beratung nutzen und sich auch in schwierigen Phasen nicht scheuen, Hilfe zu holen. Unsere Erfahrung zeigt: Wer sich Unterstützung holt, stärkt das gesamte Familiensystem.
9. Die eigene Belastbarkeit hat Grenzen – das ist normal
Pflegekinder zu begleiten kann emotional fordernd sein. Frustration, Rückschläge, Konflikte mit dem Hilfesystem oder das Gefühl, nicht genug zu leisten, können Pflegeeltern belasten.
Unser Hinweis: Achten Sie auf Ihre eigenen Ressourcen. Selbstfürsorge, Gesprächspartner auf Augenhöhe und ggf. therapeutische Begleitung sind wichtig. Pflegeeltern müssen nicht alles alleine tragen.
10. Pflegeeltern leisten einen unschätzbaren Beitrag
Trotz aller Herausforderungen erleben wir immer wieder, wie Pflegeeltern Kindern ein neues Fundament geben. Sie ermöglichen Sicherheit, Entwicklung und echte Beziehungserfahrungen. Viele berichten, dass sie an dieser Aufgabe auch selbst gewachsen sind.
Als Träger sagen wir: Pflegeelternschaft ist ein gesellschaftlich bedeutsamer Beitrag. Sie verdient Anerkennung, gute Vorbereitung und kontinuierliche Begleitung. Wir sind da, um diesen Weg gemeinsam zu gehen.
Fazit: Gute Vorbereitung schützt nicht vor Herausforderungen – aber sie stärkt für den Alltag
Pflegeelternschaft beginnt nicht mit dem Einzug des Kindes, sondern mit der bewussten Auseinandersetzung mit den Anforderungen, Chancen und Grenzen. Als Jugendhilfe-Träger ermutigen wir Interessierte, sich umfassend zu informieren, sich auszutauschen und qualifizierte Beratung in Anspruch zu nehmen. Wir als Träger helfen dabei – mit Vorbereitung, Begleitung und einem offenen Ohr für Ihre Anliegen.
Denn nur wer gut begleitet ist, kann auch gut begleiten.